AN-EC-003
2025-07
Ohmscher iR-Drop
Teil 1 – Grundlagen
Zusammenfassung
Wenn Strom durch eine elektrochemische Zelle fließt, tritt ein Spannungsabfall zwischen der Referenzelektrode (RE) und der Arbeitselektrode (WE) auf. Dieser Spannungsabfall (als ohmscher Widerstand oder ohmscher iR-Drop bezeichnet) wird durch die Leitfähigkeit des Elektrolyten, den Abstand zwischen der Referenz- und der Arbeitselektrode sowie die Stromstärke beeinflusst.
Diese Application Note bietet einen Überblick über die grundlegenden Prinzipien des ohmschen iR-Drops in Bezug auf elektrochemische Systemen und seine Auswirkungen auf präzise Potentialmessungen. Es werden Erklärungen für das Phänomen des ohmschen Widerstands und den daraus resultierenden Spannungsabfall gegeben, der auftritt, wenn Strom durch eine Elektrolytlösung oder eine leitende Elektrode fließt. Die Ursachen und Folgen des iR-Drops bei elektrochemischen Messungen werden ebenso behandelt wie Strategien zur Minimierung seiner Auswirkungen.
Durch das Verständnis und die gezielte Kontrolle des ohmschen iR-Drops können Forscher und Anwender zuverlässige und präzise Messungen in elektrochemischen Experimenten sicherstellen. Eine weitere Application Note (AN-EC-004) behandelt die Tools, die Anwendern bei der Nutzung von Metrohm Autolab-Produkten zur Verfügung stehen, um den ohmschen iR-Drop zu messen und anschließend zu korrigieren (oder zu kompensieren).
Hintergrund
Ein typisches elektrochemisches Experiment wird mit einer Drei-Elektroden-Anordnung durchgeführt: einer Arbeitselektrode (WE), einer Gegen- oder Hilfselektrode (CE) und einer Referenzelektrode (RE). Zusätzlich wird eine Sense-Leitung (S) mit der WE verbunden. Das an die Zelle angelegte Potential wird gesteuert, indem ein Strom zwischen CE und WE angelegt und das Potential zwischen RE und S gemessen wird. Um das Potential zuverlässig messen zu können, sollte die Referenzelektrode idealerweise nicht polarisierbar sein.
Wenn Strom durch eine elektrochemische Zelle fließt, tritt ein Spannungsabfall zwischen RE und WE auf. Dieser Spannungsabfall wird durch die Leitfähigkeit des Elektrolyten, den Abstand zwischen der Referenz- und der Arbeitselektrode sowie die Höhe des Stroms beeinflusst.
Gemäß dem ohmschen Gesetz kann der ohmsche (Spannungs-)Abfall Eohmic als Produkt aus dem Strom i und dem ohmschen bzw. nicht kompensierten Widerstand Ru berechnet werden:
Unter der Annahme, dass der Stromdurchgang das Potential der Referenzelektrode (die im Idealfall nicht polarisierbar ist) nicht beeinflusst, ergibt sich das gemessene Potential der Arbeitselektrode aus der Gleichung:
Faktoren, die den ohmschen Drop beeinflussen
Betrachten Sie das Potentialprofil in Abbildung 1 an der Grenzfläche zwischen Arbeitselektrode und Elektrolyt.
Die CE ist relativ weit entfernt platziert, weshalb angenommen wird, dass sie den Strom- und Potentialverlauf nicht beeinflusst. RE1, RE2 und RE3 sind Beispiele für verschiedene Positionen, an denen die Referenzelektrode platziert werden kann, um das Potential gegenüber der WE zu messen. Die Geometrie der WE-Oberfläche und die Zusammensetzung des Elektrolyten führen zur Ausbildung von Äquipotentiallinien, d. h. zu Bereichen an der Grenzfläche zwischen Elektrode und Elektrolyt, in denen das Potential zwischen RE und WE konstant bleibt.
Folglich hängt der Wert des ohmschen Spannungsabfalls von folgenden Faktoren ab:
Der Strom- und Potentialverteilung im Elektrolyten, die wiederum von der Geometrie der experimentellen Zelle abhängt. Eine Änderung der Größe oder Form der WE verändert somit auch die Form der Äquipotentiallinien.
Der Position der RE in Bezug auf die WE. Wenn die RE direkt an der Elektrodenoberfläche platziert wird (RE1), ist der ohmsche Spannungsabfall gleich null. Wird die RE weiter von der WE entfernt positioniert (RE2 und RE3), steigt der ohmsche Widerstand und damit auch der ohmsche Spannungsabfall zwischen WE und RE.
Der Leitfähigkeit der Elektrolytlösung. Je geringer die Leitfähigkeit des Elektrolyten, desto höher sind der ohmsche Widerstand und der resultierende ohmsche Spannungsabfall. Die Leitfähigkeit wird wiederum von anderen experimentellen Faktoren beeinflusst, wie z. B. der Temperatur des Systems.
Auswirkungen des ohmschen Spannungsabfalls auf die Messungen
Der ohmsche Spannungsabfall kann bei schnellen Experimenten, bei Experimenten mit hohen Strömen oder bei Experimenten, bei denen Ströme über einen längeren Zeitraum fließen müssen (z. B. während der Elektrolyse), einen erheblichen Einfluss haben. Auch Experimente, die in Medien mit geringer Leitfähigkeit durchgeführt werden, wie z. B. in Beton oder in organischen Elektrolyten, können durch den ohmschen Abfall stark beeinträchtigt werden.
Unter potentiostatischer Steuerung tritt stets ein Spannungsabfall aufgrund des ohmschen Widerstands auf. Abhängig vom Vorzeichen des Stroms ist das gemessene Potential daher entweder weniger negativ oder weniger positiv als das Potential, das ohne iRu-Abfall vorliegen würde - das sogenannte Nennpotential. Fließen kathodische (negative) Ströme, ist das gemessene Potential weniger negativ als das Nennpotential. Fließen anodische (positiver) Ströme, ist das gemessene Potential weniger positiv als das Nennpotential.
Bei großen Strömen können selbst kleine ohmsche Widerstandswerte zu erheblichen Fehlern führen. Beträgt der ohmsche Widerstand beispielsweise 1 Ω und der Strom 1 A, ergibt sich ein Fehler von 1 V durch den Spannungsabfall. Dies ist einer der Gründe, warum die industrielle Elektrosynthese in der Regel unter galvanostatischer Kontrolle durchgeführt wird – hierbei wird das Potential zwischen RE und WE lediglich gemessen, aber nicht geregelt, wodurch kein iRu-Drop auftritt.
Bei Medien mit geringer Leitfähigkeit, wie z. B. Elektrolyten mit niedriger Salzkonzentration, organischen Elektrolyten oder Beton, kann der ohmsche Widerstand sehr hoch sein, - in der Größenordnung von mehreren kΩ. In diesem Fall können selbst kleine Ströme zu großen Potentialfehlern führen. Beträgt der ohmsche Widerstand beispielsweise 10 kΩ und der Strom 100 µA, ergibt sich ein Fehler von 1 V.
In einem schnellen Experiment (z. B. zyklische Voltammetrie mit schneller Scanrate) tritt ein Stromtransient auf, der durch das Laden und Entladen der Doppelschicht verursacht wird. In solchen Fällen hinkt das gemessene Potential beim Scannen des Potentials dem angelegten Potential gemäß der folgenden Gleichung hinterher:
Dabei ist Ru der ohmsche Widerstand, Cdl die Doppelschichtkapazität und t der Zeitpunkt der Messug. Bei schnellen Scanraten – also wenn t deutlich kleiner ist als RuCdl – nähert sich der Exponentialtherm dem Wert 1 an, und es können erhebliche Fehler im gemessenen Potential (Emeasured) im Vergleich zum angelegten Potential (Eapplied) auftreten. Bei langsamen Scanraten – also wenn t deutlich größer ist als RuCdl – nähert sich der Exponentialtherm dem Wert 0 an, und die Fehler sind zu vernachlässigen.
Zelldesign und Elektrodenanordnung
Aus der vorherigen Gleichung geht hervor, dass bei schnellen Experimenten die Zeitkonstante RuCdl einen erheblichen Einfluss auf die Fehler des tatsächlichen Potentials an der Elektrodenoberfläche hat. Selbst bei langsamen Experimenten kann ein hoher ohmscher Widerstand zu fehlerhaften oder irreführenden Ergebnissen führen.
Diese Fehler können minimiert werden, indem entweder Ru oder Cdl reduziert wird. Dies kann erreicht werden durch:
- Erhöhung der Leitfähigkeit der Lösung durch Zugabe eines Leitelektrolyten. Die Leitfähigkeit ist umgekehrt proportional zum spezifischen Widerstand und damit zu Ru.
- Verkleinerung der Arbeitselektrode, um Cdl zu verringern. Die Fläche eines Kondensators ist direkt proportional zu seiner Kapazität.
- Platzierung der RE so nah wie möglich an der WE, um Ru zu reduzieren. Dazu wird häufig eine sehr feine Kapillarspitze, Haber-Luggin- oder Luggin-Kapillare genannt, zusammen mit der RE verwendet. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die RE nicht in Kontakt mit der Oberfläche der WE gebracht wird, da das gemessene Potential sonst null wäre!
Hinweis: Beim Einsatz einer Luggin-Kapillare ist Vorsicht geboten, da sie Abschirmfehler verursachen kann. Abschirmung tritt auf, wenn die Oberfläche der WE durch die RE blockiert wird, was passieren kann, wenn beide zu nahe beieinander liegen. Dies kann zu einer ungleichmäßigen Stromverteilung an der Elektrodenoberfläche führen. Wird eine Luggin-Kapillare mit einem Spitzendurchmesser d verwendet, sollte der minimale Abstand zur WE mindestens 2d betragen, um nennenswerte Abschirmungsfehler zu vermeiden. Selbst wenn die RE mithilfe einer Luggin-Kapillare so ausgelegt ist, dass sie sehr nahe an der WE platziert werden kann, bleibt daher in der Regel ein gewisser unkompensierter Spannungsabfall.
Bei sehr geringen Abständen zur WE liegen die Äquipotentiallinien dicht beieinander, und bereits kleine Positionsänderungen der RE können zu großen Schwankungen im ohmschen Spannungsabfall führen. Daher ist es in manchen Fällen besser, keine Luggin-Kapillare zu verwenden, sondern die Referenzelektrode weiter entfernt von der Arbeitselektrode zu platzieren und den ohmschen Spannungsabfall zu messen und zu kompensieren.
Fazit
Das Verständnis und der Umgang mit dem ohmschen iR-Drop sind entscheidend für genaue und zuverlässige elektrochemische Messungen. Durch die Berücksichtigung der Faktoren, die den iR-Drop beeinflussen, und die Umsetzung geeigneter Strategien können Forscher und Praktiker Messfehler minimieren und eine präzise Interpretation elektrochemischer Prozesse gewährleisten. Methoden zur Messung und Kompensation des iR-Drops werden in AN-EC-004 behandelt.